Europa glaubte sich gefeit vor Erschütterungen, die Krieg und Verbrechen in Kriegsdimensionen hervorbringen. Irren ist menschlich. Die Gesellschaften in Europa haben Erfahrungen mit dem großen Zustrom geflüchteter Menschen – auch damit, was nicht klappt und unberechenbare Konsequenzen nach sich ziehen kann. Diese Erfahrungen sind jetzt kostbar. Schnelle Organisation, Solidarität auf unterschiedlichsten Ebenen, zeitnahe Verfügbarmachung von bestehenden Ressourcen, um von vornherein Menschen und System vor Überlastung und daraus folgenden Konsequenzen zu schützen und sich nebenbei etwas zu modernisieren.
Neben den rein organisatorischen Dingen, kommt jedoch gerade jetzt den psychischen Belastungen von geflüchteten Frauen mit Kindern eine besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht vor dem Hintergrund des Organisationsdrucks aus dem Fokus geraten. Trennung, Bedrohung, Todesangst, Verlust, Ohnmacht, tagelanges Ausharren unter widrigsten Bedingungen, den Zusammenbruch nicht zulassen, um das Kind zu retten, all dies darf im Gepäck der Frauen und Kinder, die seit Tagen eintreffen, angenommen werden. All dies wirkt sich, sofort aber eben auch in Spätfolgen, oder wiederkehrenden Folgen aus – auf die mentalen Fähigkeiten, auf die Bindungsfähigkeiten, auf das eigene Sicherheitserleben, auf die Fähigkeit Vertrauen zu können, auf die Entwicklung der Kinder, auf die psychische Stabilität aller. Die Ankommenden begegnen, wenn alles gut geht, Menschen mit großer Empathiefähigkeit und Energiereserven.
Für Geflüchtete, die verbale Möglichkeiten der Kommunikation nutzen können, z.B. auf Englisch oder Deutsch, braucht es jedoch darüberhinaus die umfassende Verfügbarmachung von denjenigen Psychotherapeutinnen, die nicht bereits völlig überlastet und nur mit langer Warteliste Termine möglich machen können.
Warten ist das Gift Geflüchteter im Zwischenraum von Gegenwart und Zukunft. Auch um das Erleben von >Warten< zu minimieren und fachlich fundiert zu unterstützen, könnte Kunsttherapie, eine Psychotherapie, die um das Dritte, die Kunst, erweitert konzipiert ist und damit ganz andere förderliche Möglichkeiten bietet, akut hilfreich und systementlastend wirken. Kunsttherapie ist eine überwiegend nonverbale Therapie und auch geeignet für Menschen die unter Druck aus anderen Gründen ihre Sprache verloren haben.
Die fundiert psychodynamisch, klinisch orientiert ausgebildete Kunsttherapeutin kann zur menschlichen und gesellschaftlichen Systementlastung beitragen. Vorausgesetzt, die Voraussetzungen dafür werden endlich geschaffen – vom Gesundheitssystem und der politischen Einsicht, dem nötigen politischen Willen. Denn bisher geht das nicht – immer noch nicht. Bedenkt man, das ganze brachliegende, nicht genutzte Wissen und die Erfahrung dieser kunsttherapeutischen Expertinnen, die ohne zusätzliche Heilpraktikerausbildung Psych mit ihrer Expertise bisher nur in der Klinik vollumfänglich wirksam sein können, scheint dies mit Blick auf berufliche Qualifikationen wie Ergotherapeuten und Sozialer Arbeit mehr als absurd. Qualifizierte Kunsttherapie sollte stattfinden können und anerkannt sein, wo sie gebraucht wird und wirksam sein kann. Diese Bereiche sollten nicht der Ergotherapie und der sozialen Arbeit vorbehalten sein, denn dann ist mehr als ein ganz wesentlicher Aspekt aus den Augen geraten: Die Konsequenzen, die das psychische Leid derer für unsere Welt bedeuten kann, die keinen Ausdruck finden und ihr Leid ggf. somatisch verarbeiten und in den Körper konvertieren, ggf. ihre Persönlichkeit destruktiv verändern, ggf. delinquent auffällig werden, chronische Depression entwickeln, nicht mehr handlungsfähig sind. Kunsttherapie sollte bei der Arbeit mit Geflüchteten und Sprachbarrieren immer integriert mitgedacht werden – insbesondere bei der Aufnahme von Frauen mit kleinen Kindern, wie sie gerade zu Tausenden über die Grenze kommen.